Samstag, 12. März 2005
Textbausteine zur Freiheit bei Sartre

Aus: Sartre, J.-P.: Das Sein und das Nichts, dt. von Hans Schöneberg und Taugott König. Rowohlt, Hamburg 1993.


S. 761ff
Wir können jedoch nicht bei diesen oberflächlichen Betrachtungen stehen bleiben: wenn die grundlegende Bedingung der Handlung die Freiheit ist, müssen wird versuchen, die Freiheit genauer zu beschreiben. Aber wir stoßen zunächst auf eine erhebliche Schwierigkeit: Be-schreiben ist gemeinhin eine Erklärung, die die Strukturen einer einzelnen Wesenheit betrifft. Die Freiheit hat aber kein Wesen. Sie ist keiner logischen Notwendigkeit unterworfen; von ihr müsste man sagen, was Heidegger vom Dasein schlechthin sagt: In ihr geht die Existenz der Essenz voraus und beherrscht sie. (...) Wie soll man also eine Existenz beschreiben, die sich ständig macht und die sich weigert, in eine Definition eingeschlossen zu werden? Schon die Bezeichnung „Freiheit“ ist gefährlich, wenn dabei mitgemeint sein soll, dass das Wort auf einen Begriff verweist, wie es Wörter für gewöhnlich tun. Undefinierbar und unbenennbar, wäre die Freiheit also unbeschreibbar?
(...) Ich kann gewiß nicht eine Freiheit beschreiben, die dem andern und mir selbst gemeinsam ist; ich kann also nicht ein Wesen der Freiheit annehmen. Im Gegenteil, die Freiheit ist die Grundlage aller Wesenheiten, weil der Mensch die innerweltlichen Wesenheiten enthüllt, in-dem er die Welt auf seine eigenen Möglichkeiten hin überschreitet. Doch es handelt sich in Wirklichkeit um meine Freiheit. (...) Ich bin nämlich ein Existierendes, das seine Freiheit durch seine Handlungen erfährt; aber ich bin auch Existierendes, dessen individuelle und einmalige Existenz sich als Freiheit verzeitlicht. Als solches bin ich notwendig Bewusstsein (von) Freiheit (...). So geht es in meinem Sein fortwährend um meine Freiheit; sie ist keine hinzugefügte Qualität oder Eigenschaft meiner Natur; sie ist ganz genau der Stoff meines Seins; und da es in meinem Sein um mein Sein geht, muß ich notwendigerweise ein gewisses Verständnis von Freiheit besitzen. Dieses Verständnis wollen wir jetzt klären.

S. 763 ff
Denn allein dadurch, dass ich Bewusstsein von den mein Handeln hervorrufenden Motiven habe, sind diese Motive transzendente Gegenstände für mein Bewusstsein, sind sie draußen; vergeblich werde ich versuchen, mich wieder an sie zu klammern: ich entgehe ihnen durch meine Existenz selbst. Ich bin verurteilt, für immer jenseits meines Wesens zu existieren, jen-seits der Antriebe und Motive meiner Handlungen: ich bin verurteilt, frei zu sein. Das bedeu-tet, dass man für meine Freiheit keine anderen Grenzen als sie selbst finden kann oder, wenn man lieber will, dass wir nicht frei sind, nicht mehr frei zu sein. (...)
Der Mensch ist frei, weil er nicht Sich ist, sondern Anwesenheit bei sich. Das Sein, das das ist, was es ist, kann nicht frei sein. Die Freiheit ist genau das Nichts, das im Kern des Men-schen geseint wird [est été] und die menschlich – Realität zwingt, sich zu machen statt zu sein. Wir haben gesehen, dass sein für die menschliche – Realität sich wählen ist: nichts geschieht ihr von außen und auch nicht von innen, was sie empfangen oder annehmen könnte. Sie ist ohne irgendeine Hilfe ganz der untragbaren Notwendigkeit ausgeliefert, bis ins kleinste Detail hinein sich sein zu machen. Also ist die Freiheit nicht ein Sein: sie ist das Sein des Mensch, das heißt sein Nichts am Sein.

S. 836
Außerdem muß man gegen den gesunden Menschenverstand präzisieren, dass die Formel „frei sein“ nicht bedeutet „erreichen, was man gewollt hat“, sondern „sich dazu bestimmen, durch sich selbst zu wollen“ (im umfassenden Sinn von wählen). Anders gesagt, der Erfolg ist für die Freiheit in keiner Weise wichtig. Die Diskussion, die den Philosophen den gesunden Menschenverstand entgegenhält, kommt hier von einem Missverständnis: der empirische und volkstümliche Begriff „Freiheit“ als Produkt historischer, politischer und moralischer Um-stände ist gleichbedeutend mit „Fähigkeit, die gewählten Zwecke zu erreichen“. Der techni-sche und philosophische Freiheitsbegriff, den wir hier allein meinen, bedeutet nur: Autonomie der Wahl. Man muß jedoch beachten, dass die mit dem Handeln identischen Wahl, um sich vom Traum und vom Wunsch unterscheiden zu können, einen Realisierungsbeginn voraus-setzt. Wir sagen also nicht, dass ein Gefangener immer frei ist, das Gefängnis zu verlassen, was absurd wäre, und auch nicht, dass er immer frei ist, die Entlassung zu wünschen, was eine belanglose Binsenwahrheit wäre, sondern dass er immer frei ist, auszubrechen zu versu-chen (oder sich befreien zu lassen) – das heißt, was auch seine Lage sein mag, er kann seinen Ausbruch entwerfen und sich selbst über den Wert seines Entwurfes durch einen Handlungs-beginn unterrichten.

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Welche Aufgabenstellungen könnte man dazu nehmen? Ist der Text zu schwer (oder zu lang?) für 11./12 Klasse?

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Aufgabenstellungen

z.B.
Erkläre den Freiheitsbegriff bei Sartre.
Welche Grenzen setzt er der menschlichen Freiheit?
Welche Konsequenzen hätte diese Freiheitskonzeption (im Alltag, in Extremsituationen, z.B. im Krieg?)


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